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Rezensionen zu:

Ingrid Pirker-Binder:  Biofeedback in der Praxis, Band 2: Erwachsene

Ingrid Pirker-Binder:  Biofeedback in der Praxis, Band 2: Erwachsene
Wien, New York: Springer, 2008. ISBN 978-3-211-29191-7, 193 Seiten, 50 Abbildungen, Softcover, 29,95 € (D), 29,95 € (A), 49,00 CHF.


Wie man den Körper zähmt

Biofeedback zeigt, wie unser Körper auf verschiedene Situationen des täglichen Lebens, wie etwa Stress, Angst oder Freude durch Veränderung der Herzrate, Atmung, Muskelspannung, Fingertemperatur oder des Hautleitwerts reagiert. Durch Biofeedback wird die Selbstwahrnehmung gefördert und ein tiefes Verständnis für die eigenen Reaktionsweisen und Handlungsmuster ermöglicht. Die Autorin des Buches, MMag. Ingrid Pirker-Binder, arbeitet als Psychotherapeutin in Wien. Ihr psychotherapeutischer Ansatz, in den sie die Biofeedbacktherapie integriert, basiert auf der Logotherapie und Existenzanalyse und ist stark von Viktor Emil Frankl beeinflusst. Zusätzlich ist sie als Health-Consultant, FH-Lektorin und zertifizierte Sachverständige für Psychotherapie tätig. Sie begründete und leitet das Institut BiCo für Biofeedback & Stresstherapie & Coaching. Positiv hervorzuheben ist, dass sich die Autorin aber nicht scheut, die Marketingstrategie mancher Herstellerfirmen – ganz im Zeitgeist mit der Suche nach schnellen Lösungen ohne viel Aufwand eine Idee des „schnellen Trainings“ aller möglichen Beschwerden zu propagieren – zu problematisieren.

Zusätzlich zum 2006 erschienenen ersten Band „Biofeedback in der Praxis, Band 1: Kinder“ sind im zweiten Band für Erwachsene noch Themen aufgenommen wie Onkologie, Angsterkankungen, Tinnitus, essentielle Hypertonie, Epilepsie, Inkontinenz sowie die Anwendungsmöglichkeiten im Bereich des Sports. Denn „Biofeedback ist eine wunderbare Errungenschaft der neuesten Technologie und ein Medium der Zeit. Es spiegelt innerpsychische Prozesse auf dem Bildschirm wieder und unterstützt das Erlernen von Selbstregulierungsmechanismen (S. XI). Denn es gilt leider immer noch, dass unser Organismus „erst die nötige Aufmerksamkeit bekommt, wenn durch eine Krankheit oder Behinderung die Funktionsfähigkeit eingeschränkt ist“ (S. XI).

Wie immer muss aber, um zu guten Ergebnissen zu gelangen, die Indikation für das Verfahren stimmen. Das klingt trivial, ist aber doch nicht so selbstverständlich. So stellt sich für die Autorin zuallererst die Frage, welche Kombination von therapeutischen und biofeedbackunterstützten Trainingsmaßnahmen dem Klienten oder Patienten in diesem Augenblick weiterhelfen. Dann geht es mit den Schritten Wahrnehmen, Erkennen, Verstehen weiter. Die Autorin versteht es sehr gut zu vermitteln, dass Biofeedback mehr ist als nur die Rückmeldung der innerpsychischen Prozesse, sondern viele Schichten des Bewusstseins, Unterbewusstseins und Unbewussten erreichen kann. Denn: „Wer sich selbst kennt, kennt auch seinen Nächsten, ist teamfähig, verständnisvoll, kann soziale und emotionale Kompetenz aufbauen“ (S. XI). Biofeedback bietet daher auch Einsatzmöglichkeiten in der Persönlichkeitsbildung.

Interessant das Kapitel von Günter Amesberger und Thomas Finkenzeller über Einsatz von Biofeedback im Sport sowie von Eva Uher über Biofeedback für Frauen, insbesondere bei rehabilitativen Maßnahmen bei Stress- und Mischinkontinenz: Die Anwendungsmöglichkeiten im Sport und bei gängigen Zivilisationskrankheiten (Hypertonie, Muskelverspannungen, Panik, Migräne) werden sehr praxisnah veranschaulicht. Das Buch stellt auch die therapeutischen Möglichkeiten bei hoher Stressbelastung, Erhaltung der Leistungsfähigkeit und die optimale Nutzung innerer Ressourcen dar. Besonders erfreulich ist, dass auf frauenspezifische Themen wie Beschwerden während der Wechseljahre, Geburtsvorbereitung und Beckenbodentraining eingegangen wird. In ihrem sehr lesenswerten Beitrag stellt Ute Strehl vom Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen Neurofeedback als Mittel zur Selbstkontrolle für Patienten mit Epilepsie vor.

Fazit: So ist der Autorin zuzustimmen, dass Biofeedback ein hervorragendes Werkzeug darstellt, sich selbst und das Wunderwerk Organismus wahrzunehmen und verstehen zu lernen. In dem Buch wird das Biofeedback sowohl im Hinblick auf seine theoretischen Grundlagen als auch auf die vielfältigen Indikationen umfassend dargestellt, wobei zahlreiche neue und bislang erst wenig genutzte Anwendungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Natürlich ist das Biofeedback im Allgemeinen in einen Therapie- oder Trainingsplan eingebettet. Es ist ein sehr lohnenswertes Buch für Therapeuten, Trainer, Ärzte und Interessierte an der Biofeedback-Methode. Dabei erscheint insbesondere der Einsatz bei Kopf- oder Rückenschmerzen oder auch dem Reizdarmsyndrom vielversprechend und bislang in zu geringem Ausmaß genutzt. Allerdings gibt es aber auch ein Problem der Verfügbarkeit von Behandlungsplätzen. Immerhin ist Biofeedback eine Methode, die – nicht zuletzt aufgrund fehlender Nebenwirkungen – bei Patienten auf große Resonanz stößt. Das Buch kann daher zur Anschaffung sehr empfohlen werden.

Dr. med. Steffen Häfner, Tübingen

Korrespondenzadresse:
Dr. med. Steffen Häfner
Medizinische Universitätsklinik und Poliklinik
Abteilung Innere Medizin VI
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

steffen.haefner@med.uni-tuebingen.de
www.medizin.uni-tuebingen.de

Kurzvita
Dr. med. Steffen Häfner, geb. 1963, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Naturheilverfahren. Oberarzt an der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Medizinischen Universitätsklinik Tübingen. Tätigkeitsschwerpunkte: Psychosomatische Tagesklinik, Psychosomatische Ambulanz, Psychosomatischer Konsiliar- und Liaisondienst, chronische Schmerzsyndrome. Forschungsschwerpunkte: Psychosomatische Versorgungsepidemiologie, Mobilitätsforschung.