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Rezensionen zu:

Häfner, S. (Hrsg.) (2006): Die Balintgruppe. Praktische Anleitung für Niedergelassene und Kliniker (AT) Im Auftrag der Deutschen Balintgesellschaft. 

Häfner, S. (Hrsg.) (2006): Die Balintgruppe. Praktische Anleitung für Niedergelassene und Kliniker (AT) Im Auftrag der Deutschen Balintgesellschaft. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag.


Buchbesprechung:

Rüdiger Lorenz
Salutogenese
Grundwissen für Psychologen, Mediziner, Gesundheits- und Pflegewissenschaftler
Ernst Reinhardt Verlag, München, Basel. 2004. 208 Seiten.
Mit einem Geleitwort von Hilarion G. Petzold
ISBN 3-497-01697-7


Dieses Buch ist eine gründliche und ausführliche Einführung in das Konzept und in die Basis-Einstellung der Salutogenese. Dieses Konzept wurde von einem Israelischen Gesundheitssoziologen Aaron Antonovsky in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhundets geprägt, beschrieben und eingeführt.

Rüdiger Lorenz beschreibt die Entstehungs-Geschichte der Idee Salutogenese und vor allem ihren Kern: Das Koharenzgefühl (sense of coherence, SOC). Das Koharenzgefühl besteht aus 3 Komponenten:1. Verstehbarkeit (comprehensibility). 2. Handhabbarkeit (manageability). 3. Sinnhaftigkeit/Bedeutsamkeit (meanigfulness). Das Koharenzgefühl wurde von Antonovsky selbst in einen sozial- und Verhaltens- Wissenschaftlichen Fragebogen übertragen. (und kann also "gemessen" werden).

Eine Deutsche Übersetzung dieses Fragebogens findet der Leser als Anhang dieses Buches. In diesem Buch wird mehrmals auf die von Antonovsky beschriebene Metapher des "gefährlichen Flusses des Lebens" hin gewiesen. Wir Menschen werden bei unserer Geburt in diesen Fluss hinein geworfen, die meisten Menschen lernen schwimmen, bald schneller und kräftiger, bald langsamer und schwächer. Nur ein kleiner Teil versagt und wird an den Uferrand das Flusses getrieben. Am Ende des Lebens hört das Schwimmen auf und stürzt man in eine Tiefe.

Die Medizin kümmert sich um die relativ wenigen Menschen, bei denen das Schwimmen versagt und die an den Rand gespühlt wurden . Antonovsky will aber die Kraft der immer weiter Schwimmenden erforschen. Dieses Bild hat Rüdiger Lorenz, wie auch mich, sehr beeindruckt.

In den einleitenden Kapiteln über den Ansatz der Salutogenese fand ich, so wohl den betonten Unterschied zwischen Prävention und Salutogenese, wie auch die Definition von Gesundheit (S.33) sehr wichtig. Außerdem werden wir hier schon, so wie auch in den folgenden Kapiteln, mit dem Begriff Heterostase bekannt gemacht. Ärzte streben nach Homeostase und wenn diese gestört wurde, nach einem Restitutio ad Integrum. Aber im Leben geht es um, oft anhaltende Spannungen und um laufende Prozesse, deren Richtungen und Prognosen oft nicht deutlich sind. Also um Ungewissheit und darum um immer wieder neu zu gestaltende Gesundheit und auch der Umgang mit (chronischen) Erkrankungen.

Der Autor ist ein Psychologe und Psychotherapeut. Darum ist es verständlich, dass er die Verbindungen und Zusammenhänge zwischen dem Koharenzgefühl und anderen psychologischen Konzepten und Konstrukten genau erläutert. Zum Beispiel: das Selbst, die Identität, das Selbstwertgefühl, die Kompetenz, das Selbstgestaltungspotential, die geistige Gesundheit etc. Diese Verbindungen werden sehr klar und mit Hilfe von übersichtlichen Abbildungen und Schemata illustriert.

Vor allem wird die Ähnlichkeit zwischen dem Koharenzgefühl und dem Konzept der "Generalisierten Wiederstandsressourcen" und deren Mobilisierung mehrmals betont. Der Autor zeigt auch, wie das Konzept der Salutogenese aus der Stressforschung gewachsen ist. Er weist darauaf hin, dass aus der Umwelt stammenden Reize, Informationen, Probleme, als Herausforderung begriffen werden können, statt als Gefahr und Stress. Herausforderungen, die wir mit Hilfe von inneren und äusseren verlässlichen Ressourcen beantworten können. Wenn man dieses theoretische (und auch klinisch angewandte) Material durcharbeitet, was für einen Nicht-Psychologen nicht einfach und ziemlich mühsam ist, kommt man zu einigen wichtigen Schlüssen:

Das Koharenzgefühl ( und das Konzept der Salutogenese) hat zwar seinen Ursprung in der Soziologie, ist aber nah verbunden mit bekannten psychologischen Konzepten, die klinisch-praktisch und psychotherapeutisch angewendet werden können. Es ist also ein Konzept, dass nicht nur für die Theorie der Entwicklungspsychologie, der Medizin und der Stressforschung etc., sondern auch für die psychotherapeutische Praxis wichtig ist. Man kann das Koharenzgefühl also psychotherapeutisch stärken und bekräftigen.

Darum zitiert Rüdiger Lorenz mit Recht in seinem Schlusswort Bengel et al: (2002,78) "Das Konzept der Salutogenese ist in sofern hilfreich, als es die Psychotherapieschulen auffordert, ihre Theorien und Konzepte zu überprüfen. Es zwingt sie, die Frage zu beantworten, ob sie die Rolle gesundheitsfördender und schützender Faktoren in der Praxis (...) ausreichend berücksichtigen".

Man könnte natürlich das Konzept der Salutogense aus der Sicht der Medizin, inklusiv der somatischen Medizin, noch anders und ergänzent beleuchten. Man könnte auch philosophisch theoretisch noch manches zur Salutogenese im Allgemeinem (nicht nur zum Koharenzgefühl) hin zu fügen. Dieses Buch, das mit sehr viel Verständnis und Liebe für Aaron Antonovsky geschrieben ist, ist aber eine sehr lesenswerte und empfohlene Einführung und deutliche Zusammenfassung des heutigen Grundwissens auf dem, noch immer nicht genügend bekanntem, Gebiet der Salutogenese.


Prof. Dr. med. Benyamin Maoz
Haelah Str. 16, P.O.B. 2640
Even Yehuda 40500 Israel